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Fischer im Recht – Das Recht der Strafverteidigung, steht wieder auf dem Prüfstand

Fischer im Recht - Das Recht der Strafverteidigung, wieder auf dem Prüfstand. Was ist, was soll, was darf die Pflichtverteidigung

Fischer im Recht – Das Recht der Strafverteidigung, wieder auf dem Prüfstand. Was ist, was soll, was darf die Pflichtverteidigung

Im Münchner NSU-Prozess steht das Recht der Strafverteidigung, 40 Jahre nach dem RAF-Prozess, wieder auf dem Prüfstand. Was ist, was soll, was darf die „Pflichtverteidigung“?

Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. Weitere Artikel seiner Kolumne finden Sie hier – und auf seiner Website.

Phänomene

Es hat in der Geschichte der deutschen Strafjustiz gewiss schon einiges gegeben: Überraschendes, Neues, Empörendes, Befreiendes. So etwas aber wohl noch nie: Im rechtspolitisch wichtigsten Prozess der letzten 40 Jahre verhandelt eine wegen zehnfachen Mordes angeklagte Person (Beate Zschäpe) mit dem erkennenden Gericht über ihre prozessualen Grundrechte, indem sie gegen drei ihrer fünf Strafverteidiger Strafanzeige erstattet und diese sie im Gegenzug per Pressemitteilung der Lüge bezichtigen. Kann es noch weiter abwärts gehen?

Der Kolumnist kann für die im NSU-Prozess fallenden Entscheidungen und auch für Nebenentscheidungen als Richter nicht zuständig werden, hat keine Ahnung vom Prozessstoff und kennt die Beteiligten lediglich aus der Ferne. Das muss vorab gesagt sein, denn öffentliche Meinungskundgebungen von Richtern zu laufenden Verfahren sind im Grundsatz problematisch – nicht nur, aber besonders, wenn sie von „oben“, also durch Angehörige eines instanzhöheren Gerichts erfolgen: Das riecht nach Wichtigtuerei, Einmischung, Beeinflussung. All das liegt mir fern. Der Fall ist Anlass, nicht Gegenstand der folgenden Erwägungen.

Seitenblicke

Es ist natürlich nicht so, dass Richter keine Meinung zu den Prozessen anderer Richter haben. Soweit sie Zeit und Interesse haben, verfolgen sie diese mit hoher Aufmerksamkeit: Mal solidarisch, mal mitfühlend, mal schadenfroh, mal besserwisserisch. Sie verhalten sich nicht anders als Chirurgen, Rechtsanwälte, Finanzvorstände oder Studiendirektoren. Nicht schlechter, aber auch nicht besser als Sie, verehrte Leser. Jeder Schweißer, dem nicht alles egal ist, wirft einen Blick auf die Schweißnaht des Kollegen und denkt sich was dabei. Und selbstverständlich wird intern auch viel geredet: kompetent, inkompetent, interessiert, desinteressiert. Die Meinung, irgendetwas mindestens so gut zu wissen oder zu können wie die Kollegen, ist verbreitet. So ist es halt. Warum auch nicht?
Bei Richtern ist das so eine Sache: Sie sind nicht nur heute unzuständig, sondern vielleicht morgen zuständig für Entscheidungen. Sie sind die Träger der Insignien von Macht, Gewalt und ewiger Gerechtigkeit. Sie tragen, wenn sie öffentlich Recht sprechen, schwarze oder rote Roben (in der sogenannten ordentlichen Gerichtsbarkeit), also Gewänder, die aufgeladen sind mit symbolischer Distanz und heiliger Macht, wie sie sonst nur noch Priester haben. „Robenknechte“ nannte die Richter deshalb einmal irgendwer, was, wie die Kommentare berichten, zu einer Verurteilung wegen Beleidigung führte. Na ja.

Ein Richter muss unbefangen sein. Nicht immer, nicht gegenüber allem, nicht seiner Natur nach – wer vermöchte so etwas? Es wäre eine sinnlose, unmenschliche Forderung, dürften Richter zu den Dingen dieser Welt keine Meinung haben, oder wenn: nur eine ganz kleine, defensive, sich selbst infrage stellende, dahingewisperte Meinung, eine geheime Ansicht unter der Bettdecke.

Das mag beim Leopardenfellpriester unserer frühen Jahre einmal geklappt haben, den der Rechtswissenschaftler Uwe Wesel in seiner Geschichte des Rechts wunderbar beschreibt als machtlosen, aber legitimierten Vermittler zwischen Clan-Interessen: Ein von Mythen und Geheimnissen umgebener Verwalter des Geheimnisses von Gerechtigkeit. Allerdings habe ich, nach 35 Jahren Richterdienst, den Verdacht, dass der Leopardenfellpriester jeden Samstagabend, wenn die Sitzung vorüber war, das Leopardenfell an den Haken hing, sich zu seinen drei – wenn er Glück hatte – wunderschönen Gattinnen in die Hütte begab, die Sportschau einschaltete und sprach: Genug für heute.

Strafverteidiger

Was ein „Verteidiger“ ist, ist jedem halbwegs bekannt: Eine Person, die einen Menschen „verteidigt“, der – von wem auch immer, bei uns: vom Staat – angeklagt ist, ein Verbrechen begangen zu haben. Die Bilder, die vom Bürger und der Bürgerin damit verbunden werden, sind vielfältig, unendlich, widersprüchlich, sehnsuchtsvoll, heimelig, abenteuerlich. Zehntausend Filme gesehen, tausend merkwürdige „Verteidiger-Rollen“ imaginiert. Danny DeVito und Charles Laughton, Jimmy Steward und Rolf Bossi, Max Alsberg, Homer Wolf und all die tapferen Frauen, die allerdings meist nicht „große“ Verteidigerinnen genannt werden, sondern immer irgendwie „klein“ daherkommen, sagen wir wie Frau Brokovich-Roberts oder Frau Natürlichblond-Witherspoon.

Was tun diese Menschen? Die Welt der Sagen und Mythen ist voll von schlauen, graumelierten, teuren und natürlich „Star-„Verteidigern. Ach, wie viele Unschuldige haben sie schon rausgehauen, und wie viele Schuldige, wie viele Frauen mussten sie deshalb verlassen, mit blutendem Herzen, um der Gerechtigkeit willen!

In der Verfassung der Bundesrepublik steht nichts über Strafverteidigung. Jedenfalls nicht unter diesem Begriff. Unser Bundesverfassungsgericht, genannt „Karlsruhe“, hat gleichwohl vieles im sogenannten Grundgesetz gefunden, was die Mütter und die Väter dieses Gesetzes sich wohl gedacht haben könnten, als sie über die Strafverteidiger grübelten – oder auch nicht.

Zum Beispiel Artikel 12 Grundgesetz: Freiheit der Berufswahl, der Berufsausübung, der Berufsgestaltung. Wer kommt darauf, dass diese Erkenntnis aus Herrenchiemsee das Recht beinhalten könnte, Erlöse von Verbrechen als Honorar entgegenzunehmen für die Aufgabe, die Mandanten gegen den Vorwurf zu verteidigen, eben diese Verbrechen begangen zu haben?

Konkreter: Ein Maskierter stürzt atemlos in Ihre schwarz-edelstählerne Kanzlei, liebe Leserin, überrennt „unsere unentbehrliche Frau Müller“ (die mit dem goldenen Kanzlei-Jubiläum) am Empfang, übergibt Ihnen eine Plastiktüte mit 60.000 Euro und fordert mit ersterbender Stimme: „Strafverteidigung!“ Sekunden später folgen ein Sondereinsatzkommando und eine Staatsanwältin: Banküberfall, Lalülala. Haben Sie einen Maskierten mit einer Plastiktüte gesehen?

Bleiben Sie ruhig. Die Toilette ist besetzt. Die entscheidende Frage ist nicht: Was tun? Dies sagt Ihnen das Seminar zur Fachanwaltsausbildung, mit Skriptum und Pausenhäppchen für 1.999 Euro. Die Frage des Tages ist vielmehr: Was nun tun mit der erfreulichen Anzahlung auf das Honorar für ein spannendes Mandat?

Kein Problem. Rekapitulieren Sie rasch noch einmal Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 30. März 2004 (BVerfGE 110, 226 = NJW 2004, Seite 1.305). Sagen Sie laut: „Ich kann es gar nicht glauben, dass Sie, lieber Mandant, eine Bank überfallen haben sollen. Allenfalls halte ich es für möglich, und höchstens billige ich, dass Ihre Plastiktüte voller Tatbeute ist. Die Verteidigung der Unschuldsvermutung gebietet es aber, dass Sie die Hälfte dieses Bargelds unserer Frau Müller übergeben; bitte hier zu unterzeichnen.“ – Heben Sie unbedingt den Speicherchip des Diktiergeräts auf, das Sie während dieser Unterhaltung versehentlich haben laufen lassen.

Das sind 30.000 € brutto. Umsatzsteuer raus, Kanzleikosten raus, Spitzensteuersatz raus: Mein Gott, was bleibt da schon? Davon möchte man vielleicht leben in Prenzlau oder Waldshut, und freut sich in Cham oder Homberg (Efze). Aber in München, Frankfurt oder Düsseldorf braucht man das mindestens jede zweite Woche, um durchzukommen. Das kann nicht Geldwäsche, sondern muss Verteidigung des rechtsstaatlichen Minimums sein.

Nun werden manche sich wieder ein bisschen empören: Mein Gott, was für ein Verteidigerbild! Die Frage ist aber: Handelt es sich um pure Fantasie? Ich kenne Strafverteidiger, die für ein lukratives Mandat fast alles machen würden. Aber auch andere, die den Gruß „Guten Morgen“ mit der Frage beantworten: „Was wollen Sie damit unterstellen?“. Manche denken, Strafrichter seien ihre Freunde; andere, Strafrichter sännen jeden Morgen darüber nach, wie sie heute am geschicktesten das Recht beugen und für Ungerechtigkeit sorgen könnten. Manchen ist alles egal. Viele Strafverteidiger habe ich getroffen, die von ihren Mandanten nichts verstanden hatten und auch nichts verstehen wollten; manche aus Faulheit, manche aus Überzeugung. Strafverteidigung am Amtsgericht, gerne im „Fachanwalts“-Verbund mit Familienrecht: Ich bitte, hohes Gericht, um eine milde Strafe, insbesondere da mein Mandant sich auch entschuldigt und seine Arbeitsstelle verloren hat. Da zuckt der Strafrichter vor Überraschung.

Natürlich gibt es auch die verschiedenen Stufen von vertrauensvoller Zusammenarbeit  zwischen Richtern und Strafverteidigern auf der Basis von „Man kennt sich, man versteht sich“. Wie sollte es auch sonst gehen, etwa an kleinen Gerichten, wo man sich jahrzehntelang wöchentlich über den Weg läuft? Nur ganz wenige halten auf Dauer eine zugangslose Fremdheit durch – schön ist das nicht.

Aber stets sollte klar bleiben, wo die Grenze verläuft. Die Damen und Herren Kammervorsitzenden müssen ihre Eitelkeit im Zaum halten und damit leben, dass nicht jede(r) sie allzeit witzig, weise und „souverän“ findet. Die Verteidiger sollen lieber die Akten lesen, statt vor der Hauptverhandlung beim Vorsitzenden anzurufen und zu fragen: „Was machen wir denn mit meinem Mandanten von morgen?“

Die Bemühungen vieler Tausend Verteidiger, ihre Pflichtverteidigungen kompetent, engagiert und schlicht genauso zu führen wie die Wahlverteidigungen, werden durch solche Erwägungen denunziert. Erstaunlich, dass sie trotzdem klatschen! Vielleicht träumen sie nachts vom obigen Geldtüten-Fall oder vom European King’s Club. Jedenfalls sind sie zum allenfalls bedingten Vorsatz fest entschlossen.

Pflichtverteidiger. Sie kennen es aus dem amerikanischen Krimi: „Ich komme“, sagen Richard Gere oder Robert Redford, „aus dem Büro der Pflichtverteidiger und bin Ihrem Fall zugeteilt. Ich habe nicht viel Zeit.“ „Okay“, sagen Demi Moore (meistens schuldig) oder Scarlett Johansson (meistens unschuldig), und los geht’s.

Bei uns in Deutschland ist es ein bisschen anders. Da legt entweder der Wahlverteidiger sein Mandat nieder und beantragt gleichzeitig seine Bestellung zum Pflichtverteidiger. Das ist üblich und nicht anrüchig: Sehr viele Beschuldigte haben kein Geld, wollen aber (sinnvollerweise) von Anfang an verteidigt werden. Oder der zuständige Richter fragt den Beschuldigten, wen er als Pflichtverteidiger haben möchte, oder macht Vorschläge. Nur wenn der Beschuldigte überhaupt nicht kooperiert, wählt der Vorsitzende ungefragt einen Pflichtverteidiger für ihn aus.

Pflichtverteidigung ist gesetzlich vorgeschrieben, wenn die Beschuldigung ein Verbrechen betrifft, die erste Hauptverhandlung vor dem Landgericht stattfindet oder wenn es um freiheitsentziehende Maßregeln geht. Sonst nicht. Insbesondere am Amtsgericht finden daher viele Strafprozesse gegen unverteidigte Angeklagte statt. Wie sinnvoll das ist, mag dahinstehen.

Der Sicherungsverteidiger

Das Wort „Sicherungsverteidiger“ gibt es im deutschen Strafprozessrecht nicht. Wohl aber in der Strafprozess-Wirklichkeit. Seine Bedeutung ist einerseits klar: Ein Verteidiger, der etwas zu sichern hat. Andererseits unklar: Was?

Der Ursprung dieses Rätsels liegt in der Vergangenheit. Wir hörten davon erstmals in den frühen 1970er Jahren, in den Strafprozessen gegen Angeklagte, die wegen linksradikal motivierter Straftaten angeklagt waren. Dort traten Strafverteidiger auf, die zwar Rechtsanwälte waren, sich aber weigerten, eine Distanz zwischen sich und ihre Mandanten zu legen. Im Gegenteil: Einige erklärten ausdrücklich, die Ziele der Angeklagten seien auch die ihren; jedenfalls aber handele es sich bei dem jeweiligen Verfahren um eine rechtsstaatswidrige Farce.

Man kannte das eigentlich schon aus Jahrzehnte zurückliegenden Prozessen gegen rechtsradikale Gewalttäter, tat aber so, als breche nun erstmals das Abendland zusammen. Denn diese neuen „Sympathisanten“-Anwälte waren – anders als die der früheren Jahre – nicht Fleisch vom eigenen Fleische, grüßten den Herrn Senatspräsidenten nicht nur nicht, wie er es gewohnt war, sondern gar nicht, und traktierten die Gerichte mit endlosen Anträgen, Erklärungen und Vorwürfen. Aus lauter Panik vor so viel Unordnung katapultierte sich der Vorsitzende des großen Stammheim-Prozesses wegen Besorgnis der Befangenheit selbst aus dem Verfahren.

Im Übrigen wehrte sich die Justiz durch Bestellung von „Sicherungsverteidigern“: Pflichtverteidigern also, die gegen den expliziten Willen der Angeklagten bestellt wurden, „um den ordnungsgemäßen Ablauf der Verhandlung zu garantieren“. Sie wurden von ihren sogenannten Mandanten beschimpft, bespuckt und im Extremfall sogar tätlich angegriffen, beantragten dann selbst vielfach ihre Abberufung und mussten doch bis zum bitteren Ende ausharren: sinnentleerte Symbole eines Rechtsstaats am Rande der Auflösung.

Inzwischen kennen wir „Sicherungsverteidiger“ in jeder Art von Strafverfahren. Denn die Justiz und die Strafprozessordnung kommen schlecht zurecht, wenn die Beschuldigten oder wenigstens ihre Verteidiger nicht mitspielen. Die meisten Angeklagten tun das zwar überraschend widerspruchslos: Sie kommen, wenn sie geladen werden, gestehen, wenn sie gefragt werden, entschuldigen sich beim Richter für ihr ganzes Leben. Dann gehen sie auf Ladung zum Strafantritt: Zehn Monate Gefängnis für eine Schlägerei oder eine Beute von 100 Euro. Sie sagen: Das war fair. Da freut sich die Justiz, und der brave Bürger denkt: Gut, dass ich nicht so bin. Abends schaut er zum zehnten Mal Der große Coup (Don Siegel, 1974) und reist mit Walter Matthau in die Sonne.

Der Beschuldigte eines Strafverfahrens hat, wie Sie wissen, eine verfassungsmäßig verbürgte Subjektstellung; er darf nicht Objekt staatlicher „Vorführungen“ und Demonstrationen sein. Eine wichtige Folge dieser Stellung ist das Recht, Beweisanträge zu stellen, denen das Gericht, von Ausnahmen abgesehen, nachkommen muss. Dieses Recht ist aber nicht für Fälle gemacht, in denen Beschuldigte oder Verteidiger ankündigen, zunächst einmal 8.500 Anträge verlesen zu wollen. Das Recht auf Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit besteht nicht zum Schutz des Interesses, eine Hauptverhandlung unmöglich zu machen oder durch endlose Ketten sinnloser Anträge ad absurdum zu führen. Das Menschenrecht auf Verteidigung wurde nicht formuliert, um Strafprozesse undurchführbar zu machen, in denen von zehn „Anwälten des Vertrauens“ an jedem Verhandlungstag ein Drittel den grippalen Infekt, ein Drittel eine Panne auf der Autobahn und ein Drittel einen Schub rezidivierender Angststörung erleiden.

Es muss einmal gesagt werden, KämpferInnen aus den Tiefen des Westends, Charlottenburgs und des Rheinischen Frohsinns: Ihre Versuche, allerhand Gymnasiastentricks für Menschenrechtskämpfe auszugeben, würden in vier Fünftel der Staaten dieser Welt keine halbe Stunde überdauern und sich ganz gewiss nicht zum Nutzen Ihrer Mandanten auszahlen. Und zwar zu Recht.

Anders natürlich in Mitte, Prenzlauer Berg, Fürstenfeldbruck und Apolda: Hier herrscht schmallippige Ernsthaftigkeit, der man mit Filmzitaten nicht beikommt. Hier ist noch der Diplom-Jurist/die Diplom-Juristin als solche(r) tätig. Tief drinnen spüren sie, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Klassenkämpfe ist – freilich, wir wissen nicht mehr, welcher. Dies sind die geborenen Sicherungsverteidiger: Halb winkt die Fahne der Freiheit, halb starrt das Banner des Weltgeistes. Und wenn es dann noch mit 600 Euro Staatsknete pro Tag nach Hause geht, weiß der Sicherungsverteidiger, warum er 1949 und 1989 umgeschult hat.

Verteidiger und Medien

Die Presse liebt den Strafverteidiger. Und der Strafverteidiger liebt die Presse. Denn: Man muss leben. Ganz selten denken Strafverteidiger, sie könnten über öffentliche Erklärungen tatsächlich etwas bewegen für ihren Prozess. Man kann Werbung machen für sich, wenn man geschickt ist. Man kann aber auch sehr viel falsch machen.

Merke: Niemals nie Home-Storys machen, und käme die Tante von der Redaktion noch so einfühlsam daher. Lieber nicht erzählen, dass man zu Achselschweiß neigt, dass die Lebensgefährtin untreu oder die Private-Banking-Abteilung der Volksbank gemein ist. Man darf im Hintergrund keine Kaugummiblase machen, wenn vorne Joe Ackermann zwei Finger erigieren. Man darf nicht das Ticket ziehen für einen Jahrhundertprozess, bevor man ihn verstanden hat.

Abberufung von Verteidigern

Der „Wahlverteidiger“ hat es gut. Er lebt vom Vertrauen und vom Vorschuss des Mandanten. Er darf Honorarvereinbarungen treffen: 600 Euro pro Verhandlungstag ist der Einstieg, 2.500 pro Tag lohnt sich, 5.000 ist eine schöne, aber seltene Sache. Alternativ: 500 pro Stunde, inklusive oder exklusive An- und Abreise. Davon muss man freilich die Kanzlei in Gründerzeitlage finanzieren, die Business-Class bezahlen und das Vier-Sterne-Hotel am Gerichtsort, vom  Maßanzug, der mitreisenden Laptop-Helotin plus Porsche-Design-Equipment ganz zu schweigen. Alles wie immer: Support und Steuern fressen dem Revolutionär die Haare schneller vom Kopf, als er schreiben kann.

Der Wahlverteidiger lebt gefährlich. Wenn er’s kann, oder wenn der Mandant nicht merkt, dass er’s nicht kann – also vorerst –, geht’s ihm gut. Aber wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe! Das Ende des Prozesses, das Ende des Geldes, das Ende der Weisheit! Ein jegliches hat seine eigene Tragik.

Der Pflichtverteidiger dagegen lebt, auf bescheidenem Niveau, halbwegs beruhigt. Nun gut: Jeden Tag vier Sterne geht nicht. Aber man muss auch nicht immer Currywurst rot-weiß fressen. Eine anständige Trattoria ist durchaus drin. Wichtig aber ist: Pflicht ist Pflicht, und eine Pflichtverteidigerin, die diesen Namen verdient, hat mitnichten nur das Spray der Vergeblichkeit aufzutragen, sondern blickt blinzelnd ins Licht der Ewigkeit: „Pflicht“ ist das Zauberwort.

Über die Bestellung eines Pflichtverteidigers entscheidet der Vorsitzende des Gerichts. Er darf nicht jeden nehmen, der ihm gefällt. Er sollte nicht jeden nehmen, der sich ihm vorstellt mit der Bemerkung: „Ich habe immer Zeit.“ Vielmehr muss er sich fragen, was für den Beschuldigten die beste Lösung wäre, und er muss den Beschuldigten fragen, ob und welchen Pflichtverteidiger er denn gern hätte. Der Kunde ist König, auch vor Gericht. Vertrauen ist Vertrauen, sagt die Strafprozessordnung.

Der Verteidiger ist verpflichtet, die Bestellung auszuführen; er kann sie nur ausnahmsweise ablehnen. Die Bestellung wird zwingend aufgehoben, wenn ein (anderer) Wahlverteidiger beauftragt wird oder wenn das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger nicht (mehr) besteht. An diese „Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses“ werden sehr hohe Anforderungen gestellt, damit nicht Beschuldigte durch unbegründete Behauptungen ein Hauptverfahren torpedieren können. Denn wenn, insbesondere in umfangreichen Hauptverhandlungen, der Verteidiger erst spät ausgewechselt wird, droht die ganze Verhandlung zu „platzen“, weil der neue nicht eingearbeitet sein kann und von der bisherigen Beweisaufnahme nichts mitbekommen hat. Über die Voraussetzungen der Abberufung von Pflichtverteidigern wegen endgültig zerrütteten und zerstörten Vertrauensverhältnisses gibt es viele höchstrichterliche Entscheidungen. Sie alle betreffen Einzelfälle, denn auf den Einzelfall kommt es an.

Die Abberufung von Pflichtverteidigern wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses ist daher eine seltene Ausnahme. Es ist klar, dass es nicht darauf ankommen kann, dass der Angeklagte lediglich erklärt, er habe ab sofort kein Vertrauen mehr: Dann könnte jeder Beschuldigte seinen Prozess nach Belieben zum Platzen bringen. Und auch die subjektive Meinung des Verteidigers kann nicht ausschlaggebend sein: Strafprozess ist kein Gute-Laune-Singen.

Es geht vielmehr um eine halbwegs „objektive“, halbwegs „neutrale“ Betrachtung. Der Blickwinkel, aus dem sie erfolgt, kann eigentlich nur der des Beschuldigten/Angeklagten sein: Bloße Verfahrenssicherung wäre nicht mehr als eine leere Hülle, eine „Verteidigung“, die diesen Namen nicht verdient. Wir kennen so etwas aus Schauprozessen, in denen folgsam nickende Verteidiger dabeisitzen und die Anträge stellen, die ihnen das Gericht erlaubt.

München

In München zeigt uns eine Angeklagte, worum es geht. Das atemlose Mediengeschwätz, die Zschäpe-Schau, die Hysterie um die angebliche „Pflicht“ des Gerichts oder gar der Angeklagten, ein Kapitel des erträumten deutschen Geschichtsbuchs zu schreiben mittels „rückhaltloser Aufklärung“, vor allem „aller Hintergründe“, sind nichts als dummes Zeug.

Richtig ist: Die Angeklagte Z. hat nicht die Spur von „Pflicht“, uns ihre oder unsere Geschichte zu erklären. Sie hat das Recht, sich zu verteidigen, wie immer sie will. Die Nebenklägeranwälte, die sich in den Medien und auch sonst empören über die Weigerung dieser Angeklagten, ihre einzig wahre Autobiografie in die Mikrofone des Oberlandesgerichts zu diktieren, wissen das ganz genau. Wer sie als Verteidiger kennt, traut gelegentlich seinen Ohren nicht.

Nun sitzen drei „Wahl-Pflichtverteidiger“ da, mit denen die Angeklagte seit Monaten nur noch per Strafanzeige oder Presse kommuniziert. Nichts spricht dafür, dass es sich um eine auf inhaltliche Solidarität begründete Inszenierung handelt. Daneben sitzen zwei weitere Verteidiger, die man kaum als „Sicherungsverteidiger“ bezeichnen kann, denn sie sind die Verteidiger des Vertrauens. Allerdings haben sie zwei Jahre Hauptverhandlung verpasst und keine Anschauung von den Ergebnissen der Beweisaufnahme; auf welcher Grundlage sie die Mandantin beraten, ist eine spannende Frage. Die drei Helden der ersten zwei Jahre sind nun die verachteten oder bemitleideten oder schadenfroh betrachteten „Sicherungsverteidiger“. Sie sitzen da und blicken stumm auf den ganzen Tisch herum.

Das ist eine neue, schwierige Rechtslage. Es gibt vieles, Kompliziertes, auch Gegenläufiges zu bedenken, und wie fast immer gibt es plausible Argumente für mancherlei. Das subjektive Interesse eines Angeklagten muss nicht immer sein „wohlverstandenes“ Interesse sein. Das Interesse des Staats am Abschluss eines aufwändigen Verfahrens ist kein bloßes Ordnungsinteresse, sondern von hoher Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Rechtsordnung. Die Pflicht des Angeklagten, zu diesem Zweck eine fragwürdige oder gar gegen ihn arbeitende Verteidigung hinnehmen zu müssen, ist menschen- und verfassungsrechtlich begrenzt.

Über die Fragen werden nicht Medien oder Kolumnisten entscheiden, sondern die Richter, die dafür zuständig sind. Zum Glück.

Quellenhinweis: Bericht von Prof. Dr. Thomas Fischer Link

By Alfred Becker

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